60. Jahrestag – Besuch des Bundespräsidenten Theodor Heuss in Bergneustadt und Ründeroth

Am 28. Februar 1956 kommt Theodor Heuss zur Einweihung der Heimvolkshochschule der Friedrich Ebert Stiftung nach Bergneustadt. Die Einweihung findet im Beisein der sozialdemokratischen Prominenz der 50er Jahre statt: Erich Ollenhauer, Paul Löbe, (der Heuss erstmals als Bundespräsident ins Gespräch brachte) Wilhelm Kaisen, der hessische Ministerpräsident August Zinn… (Siehe Transkription des OVZ-Zeitungsberichtes vom 01.März 1956 im Anhang.)
Nachmittags besucht der Bundespräsident seinen ehemaligen Redakteurs-Kollegen der Frankfurter Zeitung (1941-1943) und damaligen Bundestagsabgeordneten Dr. August Dresbach in Ründeroth.
Heuss und Dresbach verband aber auch das gleiche Schicksal, 1945 bei den Amerikanern auf der „weißen Liste“ derer zu stehen, die für künftige staatstragende Aufgaben zu gebrauchen waren. Daraufhin wurde Heuss Herausgeber der Heidelberger Rhein-Neckar Zeitung – Dresbach wurde Landrat des Oberbergischen Kreises.
Da die Friedrich Ebert Stiftung in Bergneustadt 2008 abgerissen wurde, ist der Altersruhesitz Dr. Dresbachs der einzige Ort an dem der BGV aus gegebenem Anlass eine kleine Gedenkplakette enthüllen konnte. Theodor Heuss war nicht nur Politiker, Journalist, Publizist und Dozent, sondern was ihn für den BGV besonders interessant macht – auch Historiker. Er gilt nicht nur als Chronist der Weimarer Republik, er schrieb viele Biographien (Robert Bosch, Friedrich Naumann, Hans Poelzig und eine schöne Sammlung von Randgestalten der Geschichte, mit dem Titel Schattenbeschwörung).

Die Plakette ist enthüllt. Prof. E. Grothe, stellvertr. Landrat F. Wilke, M. Dräger, Dr. A. Rothkopf, K.A. Noss, W. Hahn

Die Plakette ist enthüllt. Prof. E. Grothe, stellvertr. Landrat F. Wilke, M. Dräger, Dr. A. Rothkopf, K.A. Noss, W. Hahn

Heuss Lebensspanne (1884 – 1963) ist für uns heute alleine dadurch faszinierend, dass sie das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich und die Bundesrepublik umfasst.
Im Elternhaus wurde Heuss vom Vater her im liberalen Geist der 1848er geprägt. Im Elternhaus seiner Mutter hieß es 1848 eher erleichtert: Ein Glück die Preußen kommen. Aus diesem Spannungsverhältnis lässt sich – im Sinne von einer gewissen Wahrheitsfindung – Heuss Neugier auf Geschichte erklären. Er hätte an unserer Gedenkveranstaltung seine Freude gehabt, da er als junger Journalist während seiner Münchener Studentenzeit überwiegend einen regen „Gedenkjournalismus“ betrieb, indem er zu runden Geburtstagen verschiedenster Maler oder Schriftsteller berichtete. Auch in der Rede nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 12. September 1949 erinnerte er an den 200. Geburtstag Goethes just an diesem Tag. Aus ähnlichem Geschichtsbewusstsein wurde also am Hause Dr. Dresbachs vom Stellv. Landrat Prof. Wilke eine Plakette enthüllt. Prof. Ewald Grothe vom Archiv des Liberalismus der Friedrich Naumann Stiftung sprach ein paar Worte und der kleinen Runde aus Zeitzeugen (Wilfried Hahn sang 1956 vor Heuss im Chor des Wüllenweber-Gymnasiums) wurde der Lieblingswein Dr. Dresbachs, ein Moselwein vom Weingut Immich aus Enkirch kredenzt, da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass auch Heuss diesen Wein in Ründeroth angeboten bekommen hat. Heuss hatte übrigens seine Dissertation über den Weinbau in seiner Heilbronner Heimat geschrieben und bevorzugte zeitlebens einen Lemberger. Trotz Schnee und Kälte hat es Theodor Heuss anscheinend gut im Oberbergischen gefallen, denn im Sommer 1956 kam er noch mal wieder.
Der Betriebsausflug des Bundespräsidialamtes ging in die Bergische Schweiz in Engelskirchen- Oberstaat. Auch wenn diese damals noch zum Rheinisch Bergischen Kreis gehörte, hat er vielleicht bei der Bergischen Kaffeetafel an den Besuch in Bergneustadt und Ründeroth gedacht.

Text: Marcus Dräger, Fotos: Dr. Anna Eiter-Rothkopf und Archivfotos

Ergänzend zur Gedenkstunde in Ründeroth hat die Abteilung in der Theodor Heuss Akademie in Gummersbach-Niederseßmar eine kleine Ausstellung arrangiert mit Reminiszenzen an den Besuch des Bundespräsidenten in Oberberg vor 60 Jahren und Zeitzeugnissen. Neben Fotos, Karten und Schriftstücken sind Zeitschriften, seine Bücher, sowie Erinnerungsstücke an den berühmten „Papa Heuss“ zu sehen. Besucher dazu sind der Akademie willkommen. Die Abteilung selbst wird am 15. April 2016 dort geführt und im Rahmen eines „Historischen Stammtischs“ mit dem Archiv des Liberalismus bekannt gemacht. A.R.

Transkription OVZ vom 01.März 1956
Noch einmal: Bergneustadts großer Tag
„Lieber Herr Bundespräsident
…sagte die kleine Helga – Prominenz wie nie zuvor – Vom Fähnchen, dem 0-1 und manchem Anderen.
Bergneustadt: Man stand und fror – aber man stand. Der große Tag mußte erlebt werden, genossen werden. Am Breiten Weg ballten sich die Massen der Schulkinder aus Bergneustadt und Umgebung. Papierfähnchen und Parolen wurden verteilt: „Jetzt ist er zwischen Much und Drabenderhöhe…“ dann kam Weiershagen, Dieringhausen. Alfred Nau, der stellvertretende Vorsitzende der Friedrich Ebert Stiftung sah auf die Uhr: „Dieringhausen? Dann müsste er doch in zehn Minuten hier sein!“ Und Helga Jordan, offizielles Begrüßungs-Schulkind mit Blumenstrauß, hoppelte von einem Bein aufs andere. Die Kälte von außen schlug die staatspolitische Innenwärme in diesen langen Minuten der Erwartung 4:0. „Und was wird Ihr Kollege in Gummersbach jetzt machen?“ wurde Stadtdirektor Rau boshafterweise gefragt. „In Gegenwart der Presse“, kam zurück, „soll man dazu nichts sagen. Aber vermutlich wird er das alles mit einer Handbewegung wegwischen: was ist das schon?“

Um bei der fairen Rivalität zwischen den beiden Nachbarstädten zu bleiben, die es ja unzweifelhaft gibt: „Wo liegt Bergneustadt?“ hatte eine kleine Karte gefragt, die den Einladungen für die Gäste beigelegt gewesen war. Und die Antwort: „Im Oberbergischen Kreis, in der Nähe der Kreisstadt Gummersbach, 60 km östlich von Köln. Und es war auf dem offiziellen Programm auch stets nur vom „Kreis Gummersbach“ die Rede. (Friedrich Ebert war eben ein Mann des Ausgleichs gewesen…)
Und schließlich war es soweit: Den Breiten Weg herauf kamen einige schwere Wagen, man sah Blaulicht, dann den Präsidenten-Stander. Der Wagen mit dem Kennzeichen 0-1 fuhr rechts heran, hielt; ein Polizei-Oberbeamter öffnete den Schlag, half dem Bundespräsidenten aus dem Wagen. Zwanglos-herzliche Begrüßung durch Prof. Weisser, Bürgermeister, Stadtdirektor – und die kleine Helga Jordan: „Lieber Herr Bundespräsident! Wir freuen uns, daß Sie heute in unserer Stadt sind. Alle Bergneustädter begrüßen Sie recht herzlich!“
Umsteigen in ein Mercedes-Kabriolett vom Typ 300, dann langsame Fahrt durch das Spalier der jubelnden Schulkinder, die von der Polizei nur schwer daran gehindert werden konnten, sich dem Wagen in den Weg zu stellen: Man mußte ja schließlich alles ganz genau sehen…
Hellauf begeistert
„Aus dem Bild!“ schimpfte der Wochenschau-Kameramann, der sich so schön in Position gestellt hatte – und dann drehte er herunter, wie der Bundespräsident dem Wagen entstieg, eine hilfreiche Hand reichte von hinten einen Stock heran (der Bundespräsident hatte kürzlich einen kleinen Schnee-Unfall, von dem er selber aber gar nichts wissen will), der Stock wurde abgelehnt. Und begleitet von Prof. Weisser, dem Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung, ging der Bundespräsident hinauf zur Terrasse und zum Haupteingang, während der Chor der Wüllenweberschule sang. Das Protokoll mahnte leise: „Einen Augenblick stehenbleiben!“ – und Prof. Heuss verweilte auf der Terrasse, nachdem er noch kurz mit dem Berliner SPD-Vorsitzenden Franz Neumann gesprochen hatte. Der war übrigens von der Lage der Heimvolkshochschule hellauf begeistert…
Von lästigen Fotografen-Blitzlichtern begleitet, betrat der Bundespräsident schließlich die Heimvolkshochschule und entschwand damit den Blicken der Bergneustädter. Die weiteren Vorgänge konnten sie – die sogar fähnchenbewaffnete Schneemänner zur Begrüßung ihres hohen Gastes aufgebaut hatten! – nur noch per Lautsprecher verfolgen…
Sozusagen „alles dran“
Es fehlte wahrhaftig nicht an weiterer Prominenz an diesem Tage: der hessische Ministerpräsident Zinn, Senator Dr. Klein (Berlin), Prof. Luchtenberg, der neue Kultusminister von NRW, Erich Ollenhauer, Paul Löbe, Wilhelm Mellies, der 2. Vorsitzende der SPD, Senatspräsident Wilhelm Kaisen (Bremen), Regierungspräsident Baurichter (Düsseldorf), Regierungsvizepräsident Collenbusch (Köln) – und so fort. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Krone, hatte – wie mitgeteilt wurde – „aus dringenden parlamentarischen und politischen Gründen“ absagen müssen.
Das deutsche Fernsehen, alle deutschen Sender, die Wochenschauen fehlten natürlich auch nicht. Bergneustadt konnte sich in diesem Aufwand an Prominenz und Publizistik förmlich baden – indirekt wenigstens.
„… weil wir so gern vergessen“
Die Rede des Bundespräsidenten war getragen von jener souveränen Geistigkeit, die schon in den wenigen Sätzen zum Kern der Dinge vorzustoßen vermag und deren Gedankengang zwingend und eigentümlich ist – was es übrigens schwermacht, solche Reden „berichtend“ zusammenzufassen. Es war eine Rede, die auf die förmliche Anrede verzichtet, weil Anrede schlechthin war.
Ein Gedankengang daraus, der wert ist, besonders herausgehoben zu werden: Das sogenannte „Wirtschaftswunder“ von dem gerade im Ausland mehr die Rede ist, als uns lieb sein kann – dieses Wirtschaftswunder, das auch manche Gruppennot verschleiert, hat vielen die Augen zu trüben begonnen, hat dazu veranlaßt, die Zeit rechtloser Bosheit zu vergessen. „Und man meint, die anderen hätten vergessen, weil wir so gern vergessen…“ Darin liege die tägliche Gefährdung unserer Lage.
Es war eine Rede, die für unser demokratisches Leben forderte, daß es frei werde und frei bleibe von der bloßen Deklamation. Da die Rede selbst frei war von bloßer Deklamation, war sie darin Richtschnur. Und insofern gehörte sie naturnotwendig an diese Stelle…
Erstmals seit 1913…
Den Ernst, der die meisten Reden dieses Tages auszeichnete, drängten Landrat Henn und Bürgermeister Schmies etwas zur Seite – zwangsläufig, wenn man so will, da mit ihren Worten die „lokale“ Sphäre einen Anspruch erhob. Und die gab sich hier mit betonter Freude, vor allem an der Tatsache, daß der Bundespräsident anwesend war. Seit 1913 – so sagte der Landrat unter dem hörbaren Schmunzeln seiner Zuhörer – geschehe es zum ersten Male, daß ein deutsches Staatsoberhaupt das Oberbergische besuche … Ach ja, richtig –Hitler schaute nur einmal in der Kampfzeit herein; nach dem Tode Hindenburgs gab er dem Oberbergischen nicht mehr die Ehre. Insofern stimmte es: Auf Wilhelm II. folgte Theodor Heuss in der Besucherliste.
Und Bürgermeister Schmies stellte unter schallender Heiterkeit des Hauses fest, daß die Stadt Bergneustadt „am Fuße des Vaters Beul, dem letzten Ausläufer des Ebbe-Gebirges“ das schöne Gelände erworben habe – „und das war ja dann auch gut genug!“ Vor allem die Berliner Gäste schauten immer wieder gern durch die weiten Fenster hinaus…
Bei einem – früher hätte man gesagt fürstlichen, heute also „republikanisch-präsidialen“ kalten Buffet bewährte sich die Heimvolkshochschule erstmals nachdrücklich als eine Stätte der Begegnung – sie soll ja keineswegs eine rosarote „Präparandenanstalt“ sein -, und es ist dabei keineswegs nur an das herzliche Gespräch zwischen Wilhelm Mellies und August Dresbach zu denken…

Transkription OVZ vom 01. März 1956

Offiziell in Bergneustadt:
… und privat in Ründeroth.
Die Gemeinde hatte kräftig Sand streuen lassen und so stand dem Besuch von Bundespräsident Prof. Heuss im Hause Altershausen des Bundestagsabgeordneten Dr. Dresbach von daher nichts im Wege.
Am Nachmittag parkte also der Mercedes 300 mit dem Kennzeichen 0 – 1 im Ründerother Dorffeld.
Der Bundespräsident und Dr. Dresbach sind sozusagen Kollegen. Pressekollegen von der früheren Frankfurter Zeitung. Und die kollegiale Verbundenheit und Wertschätzung ist bis auf den heutigen Tag bestehen geblieben. Wie der Bundespräsident einmal äußerte: „Es ist erfreulich, daß sich im Parlament ein Mann wie Sie befindet, der es versteht, die Leute der verschiedenen Gruppen als Persönlichkeit unmittelbar anzusprechen und das Routinemäßige, das ja immer die Gefahr parlamentarischer Sachverhandlungen gewesen und geblieben ist zu sprengen.“ Solche Würdigung wiegt einiges, da sie von einem Mann stammt, dem die bloße Deklamation ein Greul ist.
Man könnte übrigens – die Überlegung liegt, unter dem Eindruck dieses Dienstags nicht fern – zwischen manchem was bei der Einweihung der Heimvolkshochschule gesagt wurde und dem oberbergischen Abgeordneten wie er ist, Verbindungen herstellen. Keine „abstinente Neutralität“, Gesinnung die nicht mit Linientreue gleichzusetzen ist, verantwortungsbewußtes Urteil, des vielleicht zu einem unbequemen Staatsbürger stempelt, selbstverantwortliche Demokratie, gutes politisches Wissen – es will scheinen, daß Dr. Dresbach schon eine gehörige Dosis von dem mitbekommen hat, was in der Heimvolkshochschule herangetragen werden soll. Das soll nicht heißen, daß ihm nicht andererseits auch manches fehlte, was Leute, auch wohlmeinende Leute, gern an ihm sähen. Und manche Leute mögen den Dr. Dresbach ja überhaupt nicht leiden – was bekanntlich nicht verboten ist. Im Gegenteil. Gegnerschaft erhält die geistige Beweglichkeit. Nur immer zu !
Die Kennzeichnung vom „unbequemen Staatsbürger“ freilich, die Prof. Weisser am Morgen in Bergneustadt verwandte, erinnert lebhaft an das, was Dr. Dresbach kürzlich in der evangelischen Akademie Loccum sagte: Weder die Bestechungsessen der Industrie, noch die Drohungen der Gewerkschaften, der Bauernverbände und der Kriegsbeschädigtenverbände sind für mich gute Gründe im Sinne Martin Luthers. Und so ich nicht mit guten Gründen widerlegt werde, so will ich auch nicht widerrufen. Aber ich habe meinen Standpunkt und meine Meinung schon häufig geändert, wenn mir bewiesen wurde, daß ich irrte. Ich weiß nämlich, daß ich nicht allwissend bin. Soweit das Prinzipielle.